Neuer Text

2. Etappe - Warschau
lebendige, aufwühlende Geschichte ...

3.7. Sonntag: 8:07 und es schüttet - grundsätzlich ja nicht schlecht, denn es hat in der Nacht endlich abgekühlt. Es soll aber heute weiter nach Warschau gehen. Die App WeatherPro zeigt ab 14 Uhr schönes Wetter und maximal kurze Schauer. Bisher war die App auf allen Touren immer sehr verlässlich - egal ob Wandern oder Motorrad. Es hat was Beruhigendes wenn der Regen auf die Fensterbank trommelt - also werde ich lesen und im Internet surfen.

Es wird besser, der Regen lässt nach - ich packe meine Sachen. Rauf auf den Roller und in Richtung Warschau. Im Bauch habe ich noch nichts - außer einer trockenen Semmel von gestern - unterwegs wird es schon was zu Beißen geben ;-).

Die Schnellstraße nach Warschau - ist angeblich der kürzeste Weg (292 Kilometer) - ist der grottenschlechte Hammer. Nebenbei wird eine Autobahn gebaut und die Schnellstraße dient teilweise als Doppelspur der neuen Straße. Wenn nicht geradeaus, geht es im Zickzack mal auf der einen Seite, dann mal wieder auf der anderen Seite der Baustelle entlang - Baustelle über 100 Kilometer und nur ein mäßiges Fortkommen - immerhin ist Sonntag und es sind nur sehr wenige LKWs unterwegs. Trotzdem, wenn die Autobahn mal fertig ist, ist sie sicher wie die anderen Autobahnen ein Genuss. Die Autobahnen in Polen sind schlichtweg super: 1A und wunderbar zu fahren. Dafür sind die Landstraßen und die Innerortstraßen zum vergessen: Löcher, Quer- und Längsrillen - Waschbrett pur - nicht sehr lustig zu fahren.

100 Kilometer vor Warschau fängt es mal wieder an zu schütten. Wird sich zeigen, ob ich auch unter der Kleidung-Goretex-Haut nass werde. Eine halbe Stunde viel Wasser von oben - in Warschau angekommen, aber trocken drunter - immerhin.

Achja, gegessen habe ich noch nichts - es ist 15:30 und jetzt fängt der Magen an zu knurren. Nach dem Einchecken gibt's gegenüber vom Hotel ein Pizza Hut, in dieser Restaurantkette war ich ewige Zeiten nicht mehr. Werde ich mal wieder versuchen und mich dann auf's Zimmer verkrümeln und noch das Spiel Frankreich - Island schauen. Wenn das Island gewinnen sollte, geht es im Halbfinale gegen Deutschland. Wäre schon cool :-))).

Unten noch zwei Kontraste: Einmal der Parkplatz/Hinterhof vom "Hotel" in Krakau und dann die Vorderfront vom Hotel in Warschau. Die Unterkunft in Krakau hatte den entscheidenden Vorteil dass sie sehr sehr günstig war - da ist dann eben nichts Anderes zu erwarten ;-).
Leider ist das Viertelfinale Frankreich - Island 5:2 ausgegangen. Ich hätte es den Isländern gegönnt - sie waren so erfrischend. Dann eben Frankreich - Deutschland im Halbfinale.

4.7. Montag: heute werde ich die übliche Stadtrundfahrt buchen - an der Rezeption liegt ein Prospekt der City Tours - sie bieten eine dreistündige Tour an. Um 9:40 geht's los, ich werde vom Hotel abgeholt, eine Dame steigt auch noch ein und wir kommen gleich ins Gespräch. Sie kommt aus Washington DC - der Bus klappert noch ein paar andere Hotels ab, sodass es im Endeffekt in dem Kleinbus 10 Teilnehmer sind. Zusätzlich Personen kommen aus Chicago, zwei aus Sydney, zwei aus Florida und zwei Brüder - beide ursprünglich aus Flensburg, der eine lebt jetzt auf Hawei und der andere in Berlin. Eine sehr sehr nette Runde mit viel Plauderei.
Unser Tourguide Peter (er meint, seine Mutter nennt ihn Piotr - der Einfachheit halber nennen wir ihn Pieter) sagt, dass wir drei Ziele anfahren werden. Also dann los ;-):
Das erste Ziel ist das Bäderschloss des Königs. Wir steigen an einem Eingang des Schlossparks aus und "wandern" einen wunderschönen Park leicht absteigend entlang. Wir kommen an einem Denkmal von Frédéric Chopin vorbei - er war gebürtig im ehemaligen Herzogtum Warschau und wird in Polen an allen Ecken und Enden mit Denkmälern verehrt.
Der Weg führt weiter durch einen Wald bis wir vor dem Bäderschloss stehen. Peter weiß eine Menge Geschichten zu erzählen. Urprünglich gehörte dieses Areal den Jägern, um sich von der blutigen Jagd zu reinigen. Für die Lagerung ihres Jagdgutes nutzten sie andere Kammern. Irgendwann wurde der Wald dann dem König überlassen/verkauft. Nach 45 Minuten Führung wartet am unteren Ende des Parks unser Bus und bringt uns zum nächsten Ziel.
Wir fahren ins ehemalige Ghetto von Warschau. Wie immer ist die Historie extremst bedrückend. Es ist nicht vorstellbar, dass 450.000 Menschen eingepfercht auf engstem Raum untergebracht waren. Für jeden Bewohner gab es täglich 300 Kalorien, sodass Hunger und Tod an der Tagesordnung waren. Später wurden dann täglich 3.000 Menschen vom sogenannten Umschlagplatz nach Treblinka deportiert ... bis dann die Juden im Ghetto beschlossen, lieber im Kampf/Widerstand zu sterben, im größten jüdischen Aufstand gegen den Völkermord ... unvorstellbar. Ein Denkmal und Museum erinnern an diese Zeit - ich werde das Museum noch besuchen. Nach dieser sehr bedrückenden Etappe geht es zum dritten Ziel.
Wir besuchen die Altstadt - sie wurde vor 60 Jahren komplett wieder aufgebaut (85% von Warschau war nach dem Krieg zerstört). Die "neue" Altstadt ist wunderschön, farbenprächtige Häuser, kleine Gassen - Menschen sitzen in Straßenrestaurants und genießen das angenehme Wetter und die Sonne. Gegen 13 Uhr ist die Führung zu Ende und die Dame aus Chicago (sie erzählt uns, dass sie als Kind von Amerikanern aus Korea adoptiert wurde), die zwei Brüder und ich fahren nicht mehr mit dem Bus zurück, sondern gehen gemeinsam Mittagessen in einem plonischen Staßenrestaurant. Wir essen so etwas wie Ravioli, die mit unterschiedlicher Füllung bestellt werden können. Ich nehme sie mit Fleisch- und Champignonfüllung. Echt lecker und eine wirkliche polnische Spezialität. Nach dem Essen verabschieden wir uns und gehen unserer Wege. Mein Weg führt mich zum Kulturpalast - dieser ist ein nicht sonderlich willkommenes Geschenk von Stalin an die Warschauer Bevölkerung - zumindest empfinden diese es so. Irgendwie erinnert mich der Bau (s.u.) an ein Gebäude - er steht so protzig in der Landschaft, ist 274 Meter hoch - bis ich dann draufkomme, woran er mich erinnert - an Gotham City ;-).
Direkt neben dem Kulturpalast erheben sich die modernen Bürogebäude gen Himmel. Es ist schon sehr faszinierend die alte und neue Archtektur so dicht nebeneinander zu sehen. Übrigens ist die neue Architektur ausgesprochen schön und einfallsreich. Geschwungene Glasdächer, ein riesiges Einkaufszentrum mittendrin - sehr faszinierend.
So, für heute ist's genug - 10 Stunden auf den Beinen - 15 Kilometer Stadtwanderung - und sehr sehr viel gesehen ... Warschau ist eine Reise wert, unglaublich offen diese Stadt, modern und voller Sehenswürdigkeiten.

Nachsatz: da fällt mir noch ein Geschichtchen ein - als wir beim Mittagessen saßen, erzählte der Hawaianer - übrigens sind die beiden Brüder Politsoziologen/-geschichtler - das Trump deutsche Wurzeln hat. Seine Familie kommt aus dem Schwäbischen und der eigentliche Familienname ist Drumpf - so kann man aber in Amerika nicht heißen, denn das klingt so wie ein Elephant's shit ;-). Sie meinten, sie müssten das mal Hillary erzählen, sie könnte es eventuell für ihren Wahlkampf nutzen ;-).

5.7. Dienstag: es hätte ein Museumstag werden sollen - wie sich dann später herausstellen wird, haben viele der Museen am Dienstag geschlossen. So gehe ich wieder zum Kulturpalast, um mir Warschau von oben anzusehen. Die Warschauer haben von diesem Blick auf ihre Stadt doch eine positive Meinung von dem Geschenk Stalin's: "von hier oben ist kein Kulturpalast in Warschau zu sehen" - so kann man es auch betrachten ;-).
... es gibt also die Turmbesichtigung mit einem wundervollen Rundblick aus dem 30. Stock - sehr beeindruckend. Auf der einen Seite die Skyline, auf der anderen Seite das "flachere" Warschau mit den Sehenswürdigkeiten aus der Vogelperspektive. Auf der Plattform stehen Liegestühle gesponsert von RWE, das ist neu - Liegestühle auf einem Turm habe ich auch noch nicht gesehen. Übrigens sind die 30 Stockwerke im Lift in wenigen Sekunden - geschätzten 10 Sekunden überwunden. Beim Hinauffahren verschlägt es mir leicht die Ohren.
Später wird es dann ein ruhiger Tag. Ich setze mich in einen Park, lese, lasse die Seele baumeln - einfach Urlaub - bevor es dann am späten Nachmittag zurück ins Hotel geht.

6.7. Mittwoch: heute werden also zwei Museumsbesuche nachgeholt - zuerst kaufe ich mir aber ein Tagesticket für die Öffis. Die Blasen die ich mir in Krakau gelaufen habe, werden mit der vielen Herumlatscherei natürlich nicht besser. Es geht zuerst zum Warschauer Museum des Widerstands im zweiten Weltkrieg. Das Museum öffnet erst um 10 Uhr, eine viertel Stunde vorweg stehen schon viele Menschen am Kassenhäuschen an. Um die Zeit vorher zu überbrücken, ich bin schon eine Stunde vorher dort und gehe die Außenanlagen ab. An einem Weg gibt es links und rechts an einer Mauer riesengroße Fotos mit kurzen Erklärungen. Ich habe es gestern schon erwähnt, einfach nur schrecklich und sehr bedrückend. 
Das Museum ist in einer dreistöckigen Fabrikhalle untergebracht - alle drei Stockwerke sind mit hunderten Bildern, Originalen, Videos ausgestattet. In der Mitte der Halle befindet sich so etwas wie ein Kinosaal, in dem in einer Endlosschleife Originalfilme des Widerstands gezeigt werden. Auch dieser Bereich ist voll besetzt - der überwiegende Anteil der Besucher dürfte polnischer Herkunft sein. Man hört nur wenig englisch oder andere Sprachen. 
​Anschließend geht es mit der U-Bahn weiter ....
... zum nächsten Stop. Das Nationalmuseum - auch das ist ein beeindruckendes Gebäude - es wird aufgrund seiner Architektur sehr häufig für Filmaußenaufnahmen des dritten Reichs verwendet - ist nachvollziehbar. Die Ausstellungshallen beherbergen Exponate des 1. Jhd. bis zur Neuzeit. Auffallend ist die ständig präsente Aufarbeitung der Kriegsgeschichte und der nachfolgenden Krisen. So gibt es ein Bild der Modernen Kunst, welches den 13. Dezember 1981 zeigt, an dem via Fernsehansprache das Kriegsrecht von Jaruzelski über Polen mit dem Ziel verhängt wurde, die Demokratiebewegung um die Gewerkschaft Solidarnosc zu zerschlagen. Die Geschichte hat uns einen anderen Ausgang gelehrt. Eine etwas makabere Art der Neuen Kunst ist mit Genehmigung von der Firma Lego eine Abbildung einer Verkaufspackung die Concentration Camp heißt - echt krass. 
So, und jetzt freue ich mich auf das erste Halbfinale: Portugal - Wales. Es würde mich sehr freuen, wenn es Wales schaffen würde - sie hätten es sich verdient - ihre Spielweise ist sehr viel erfrischender. Gerade fängt es an zu regnen und es soll die Nacht durchregnen. Um 8 Uhr soll es dann aufhören - wenn dem so ist, dann wäre das pünktlich um vielleicht trocken nach Vilnius zu kommen - wir werden sehen ;-).
Share by: