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5. Etappe - Palermo
im Reich der Mafia?

19.7. Mittwoch: … der Tag ist kurz erzählt – bis auf die letzten 1,5 Stunden vor Mitternacht.
 
6:30 aufstehen – Zelt abräumen – zusammenpacken – 20 Kilometer zum Hafen – langer Stau vor Cagliari-City und Hafeneinfahrt ;-) - verladen – Ruhebank auf Schiff gesucht und gefunden, zum Lesen und Schlafen – Abfahrt 10:30 – Ankunft 22:30 pünktlich – Motorrad von Fähre gebracht – Navi angesteckt … 
… die letzten 1,5 Stunden: Navi ist angebracht, das Ziel ist eingegeben, es kann losgehen – stockfinster, aber es sind ja nur drei Kilometer. Die Leute fahren wie die Blöden, als gäbe es kein Morgen, als müssten sie alle noch irgendwo ein Zimmer bekommen. Die Straßen sind grottenschlecht – bisher das mieseste, was mir unter die Reifen gekommen ist. Straßenmarkierungen gibt es keine, dafür Schlaglöcher, Erhebungen und allen möglichen anderen Kram. Und es wird gehupt – es stellt sich heraus, dass nicht wegen Gefahr gehupt wird, es wird nur „Laut gegeben“ weil einer ja noch schnell an dir vorbei möchte. Es kann dann anscheinend keinem im Nachhinein vorgeworfen werden, er hätte sich nicht bemerkbar gemacht. Die drei Kilometer sind ein einziges Hupkonzert – wie gesagt, es sind ja nur drei Kilometer. Doch im Dunkeln sind alle Katzen grau und die Orientierung ist trotz Navi etwas ungewöhnlich, zumal ich keine echte Adresse von Booking.com bekommen habe, sondern nur eine Straße und einen Namen Minicrociereinbarca – das schreibt sich tatsächlich so, Was das heißt, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich habe eine ungefähre Ahnung, wo die Unterkunft, ein Boot, sein müsste. Dahin lasse ich mich also leiten ;-). Die Adresse ist dann eine Hafenpizzeria – oder so etwas Ähnliches - vor dem Jachthafen. Ich bin vollkommen überfragt und teilweise überfordert, da ich nun überhaupt nicht mehr weiß, wohin. Ich rufe die Telefonnummer an, die ich über Booking.com bekommen habe und es meldet sich Paolo – na also, es geht ja. Er fragt: „Andreas?“ – „Yes!“ und dann kommt irgendeine Erklärung auf italienisch und etwas Englisch, die ich nicht verstehe. Ich sage ihm noch, dass ich bei der Pizzeria soundso stehe und bitte ihn, er möchte mich dort abholen. Er legt auf – kein Yes oder No – ich warte. Finster ist es, vor der Pizzeria sitzen ein paar Leute herum, vom Hafen kommt Disco Musik. Es ist ja erst 23:00 – ich habe ja noch Zeit – ich warte, warte, warte, dann wird es mir zu bunt und ich spreche einen Gast der Pizzeria an, der mit seinem iPad herumtut. Er kann Englisch – heute ist mein Glückstag ;-). Ich zeige ihm meine Reservierung – zwischenzeitlich habe ich sechsmal Paolo versucht zu erreichen – Antwort Mailbox – tja, wäre ja nicht das erste Mal, dass ich unter freiem Himmel am Hafen übernachte – hatte ich schon vor Jahren mal auf Sardinien gemacht und hat wunderbar funktioniert. Der freundliche und sehr hilfsbereite Gast (übrigens ein Einheimischer ;-)) kann mit der Adresse und dem Namen nichts anfangen. Beruhigend ist, als er meint, Paolo ist ein Allerweltsname und da kann irgendjemand, irgendwas dahinterstecken. Meine Entgegnung, Booking.com und die Kritiken sprechen ja nicht gerade für einen Betrüger, wischt er mit einer Handbewegung zur Seite. Also leider ist von dem sehr hilfsbereiten (und das ist er wirklich) Herrn keine fundierte Hilfe zu bekommen, ich habe ja eine ungefähre Ahnung, wo es sein müsste, also begebe ich mich wieder zu meinem Motorrad, starte und wende. In diesem Augenblick kommt ein Mann auf einem Roller daher und ruft laut fragend „Andreas?“ – Wow, er hat mich gefunden. Er fährt vor, ich hinterher, wir werden durch einen Absperrung gelassen – es ist ja Disco Time und ich stelle ein paar Meter weiter mein Motorrad am Hafen ab. Zum „Zimmer“ sind es noch so 100 Meter. Ich nehme meinen ersten Teil des Gepäcks mit und Paolo geleitet mich auf sein Boot. Es ist eine kleinere Jacht, die über eine Planke von der Hafenmauer zu begehen ist. Er meint gleich: Schuhe ausziehen – ich sage ich hole noch mein anderes Gepäck und komme dann zurück. Über die Planke ist abenteuerlich, sie liegt nicht am Hafenrand auf, sondern dazwischen ist so ca. 50 cm Luft. Ein großer Schritt mit dem Gepäck, der Heckkoffer hat locker 15kg, der Seitenkoffer vielleicht so 7, dann noch 2 Meter auf der ca. 40 cm breiten schwankenden Planke – links und rechts ist Wasser - ich habe es geschafft ;-). Ich setze mich erst mal hin, ziehe meine Stiefel und mein Motorradgewand aus, schlüpfe in meine kurze Hose und Paolo bringt ein gut gekühltes Bier.
Das ist Service und am Heck einer kleinen Jacht sitzend, habe ich auch nicht alle Tage. Paolo setzt sich zu mir und wir plaudern recht ausgiebig miteinander, er auf Italienisch mit etwas Englisch gespickt und ich auf Englisch. Die Verständigung ist ausgezeichnet und wird mit dem zweiten Bier noch besser ;-). Er erzählt, dass er als Kind mit seinen Eltern in Wien, Salzburg und Innsbruck war und die Zeit sehr gern gehabt hat. Dann eröffnet er mir noch, dass mein Zimmer morgen zwischen 10:30 und 20:00 auf Tour ist. Er nennt es Exkursion, eine amerikanische Familie aus San Diego hat sich ihn mit Boot für morgen gemietet. Mein Gepäck kann ich aber in der Kapitänskabine lassen. In der nächtige ich – er hat eine kleine Koje daneben. So gegen 23:45 verabschiedet er sich mit einem Buano Notte, gibt mir noch ein paar Instruktionen, wie ich das Boot vor dem Schlafengehen nachttüchtig machen soll und verschwindet in seiner Kajüte - die Kapitänskabine hat er ja vermietet. Ich sitze noch herum, genieße die extremst angenehmen Temperaturen und das leichte Schaukeln des Bootes – ein echt wohliges Gefühl. Um 0:30 gehe ich auch in meine Kajüte. Auch auf Booten habe ich schon ein paarmal geschlafen, aber das hier ist mit Abstand das kleinste – aber der Aufwand von vor 2 Stunden hat sich gelohnt – es ist einfach nett und total anders!

20.7. Donnerstag: nach einer wunderbaren Nacht wache ich so um 7 Uhr auf, das Boot schaukelt mal mehr, mal weniger. Zu hören ist nichts, aber das Schaukeln ist mal mehr, dann mal wieder weniger. Mein Vermieter Paolo hat noch ein paar Kilo mehr wie ich und wenn er sich auf dem Boot bewegt, dann schaukelt es halt dementsprechend. Also wird es wach sein und ein paar Dinge für seine Exkursion heute herrichten. Ich bleibe noch ein Stündchen liegen, ich habe ja Urlaub, obwohl früh aufstehen mir auch im Urlaub nichts macht – aber das Schaukeln ist ungewöhnlich und angenehm. Stehe dann doch bald auf, mache mich fertig und es erwartet mich ein netter kleiner Frühstückstisch – ganz ganz frische, noch warme Croissants, ungefüllt und mit Marmelade gefüllt, ein Espresso und Orangensaft – so darf der Tag beginnen.
Von Paolo habe ich gestern Abend noch einen Stadtplan bekommen, den nehme ich jetzt, nachdem ich meine Tagesuntensilien in meinen Rucksack gepackt habe, mache mich auf den Weg zum Red Bus (Hop On-Hop Off Bus, die benutze ich immer in Städten, in denen ich nur wenig Zeit verbringe; sie bieten in der Kürze die beste Information) – das ist so ungefähr 4 Kilometer entfernt. Die Luft ist klar, es hat 22° und ein Morgenspaziergang kann nicht schaden. Hafenumgebungen sind grundsätzlich nicht besonders schön, so auch diese nicht. Es ist dreckig, stinkt, also alle Vorurteile treffen hier zu. Trotzdem gibt es auch hier schöne Eindrücke und Ausblicke auf die nähere Umgebung der Stadt.
… Übrigens ist der „Schlafplatz“ bewacht, sieht aus wie ein Wachturm, oben sitzt einer drin und beobachtet das Treiben in der Umgebung. Zutritt zu dem Bereich wo ich nächtige, ist nur über Code zu bekommen, also tatsächlich sicher – so auch hoffentlich mein Motorrad, das außerhalb der Einzäunung steht. Mein Vermieter meinte aber gestern Abend, dass da nichts passiert. Trotzdem habe ich die Alarmsperre an der Bremsscheibe angebracht. Sollte das Motorrad bewegt werden, schlägt das Schloss mit 110 Dezibel Alarm. Das hört der Wachmann und reagiert dann hoffentlich! …
Als ich die Bushaltestelle erreicht habe, kaufe ich mir ein Ticket und beginne die erste Fahrt. Es gibt zwei Fahrten, eine rote und eine blaue Route. Die Fahrt führt durch das historische Palermo und es ist sehr überraschend, wie viele orientalische Bauten es hier gibt. An einer Stelle standen im Laufe der Jahrhunderte zeitversetzt sowohl ein islamischer Tempel als auch eine christliche Kirche. Beide am selben Platz, also irgendwie ein spiritueller Ort. Ich steige dort aus und schaue mir das Gebäude von außen an. Mittlerweile ist es 11:30 und die Sonne knallt ganz schön herunter – auch wenn es nicht ausgesprochen heiß ist, im Schatten ist es echt angenehm (27°) brutzelt die Sonne doch ordentlich aufs Hirn – vielleicht, weil mir der natürliche Schutz, die Haare fehlen – könnte schon sein ;-) – also muss gründlich Sonnencreme Abhilfe schaffen. Weiter geht’s zu einem Markt, ein in einer Seitengasse gelegener Basar – hier bekommt man alles – von Fisch (wie das Foto zeigt), auch Fleisch, Socken, Spielsachen. Erinnert mich etwas an die Markthallen vom letzten Jahr in Riga, auch die waren grandios und hatten alles zu bieten. Besonders die Fischmärkte gleichen sich – nur so einen riesigen Fisch auf einem Markt habe ich noch nicht gesehen.
Dann gibt es noch den Englischen Garten – wundervoll angelegt – und auch hier ist der orientalische Einfluss sichtbar. Es wird über Herrscher berichtet, Könige, die sich hier nicht wohl gefühlt haben und jede Menge mehr. Ich stelle mal ein paar Bilder zusammen, die einen ungefähren Eindruck vermitteln, was Palermo darstellt – offensichtlich nicht die Mafia ;-), zumindest sieht man sie nicht. Es ist jetzt 19:00 und ich habe gelinde gesagt, für heute genug. Ich suche mir jetzt, nachdem ich diesen Teil des Blogs noch fertiggeschrieben habe, ein Restaurant – eventuell eine Pizzeria, die soll ausgezeichnet hier sein – und werde mich dann später noch auf das Heck „meines“ Bootes begeben und den Tag im Dunkeln sitzend, auf dem Wasser schaukelnd – damit baumelt auch die Seele – ausklingen lassen …
... noch ein kleiner Nachtrag zu heute Abend ... es hat sich genauso cool fortgesetzt wie gestern. Ich war noch in der Hafenpizzeria, deren Gast mir gestern versuchte zu helfen. Die Pizza ist großartig, ebenso das Bier. Mittlerweile ist es 21:00 und ich denke mein Zimmer ist von seiner Exkursion zurück. Ich schlendere also in Richtung Boot und, tatsächlich, es liegt vor Anker bzw. am Steg festgemacht. Ich werde von Paolo sehr herzlich begrüßt und von einem italienischen Gast, der gut Englisch kann. Wir plaudern eine zeitlang miteinander, der Gast muss aber gehen und verabschiedet sich, wie in Italien üblich, mit Bussi links und rechts. 
Ich nutze jetzt die Zeit, um auf dem Pier die untergehende Abendsonne zu genießen, und noch ein paar schöne Fotos zu schießen ... voila ... urcooool ...
... und morgen geht es weiter nach Catania ...
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